"Wer seine Justiz plündert, darf sich darüber nicht wundern", sagte der Vorsitzende des Hessischen Richterbundes, Ingolf Tiefmann
Reuters, Fr Jan 11, 2008 8:35 MEZ
Berlin (Reuters) – Die hessischen Richter haben sich gegen die Kritik von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) an zu langen Gerichtsverfahren gegen jugendliche Straftäter gewehrt.
"Wer seine Justiz plündert, darf sich darüber nicht wundern", sagte der Vorsitzende des Hessischen Richterbundes, Ingolf Tiefmann, der "Frankfurter Rundschau" vom Freitag. Nicht nur in der Justiz, auch bei Polizei und Staatsanwaltschaft habe die Regierung Koch Stellen gestrichen. Das Justizministerium habe dann 2005 selbst berechnet, dass hessenweit allein 130 Richter fehlten. "Und das spüren wir jeden Tag", sagte Tiefmann.
Koch hatte eine zu langsame Bearbeitung von Straftaten Jugendlicher in Hessen eingeräumt. Koch will am 27. Januar wiedergewählt werden und hatte nach einem Überfall von zwei jugendlichen Ausländern auf einen Rentner in der Münchener U-Bahn eine Debatte über Jugendkriminalität angestoßen.
SPD-Fraktionschef Peter Struck warf Koch im Deutschlandfunk erneut vor, er nutze das Thema zu Wahlkampfzwecken. "Ich glaube, dass Roland Koch ja eigentlich von Herzen froh war, dass dieser schreckliche Vorfall in München in der U-Bahn passiert ist." Er frage sich, ob Koch "das Thema auch so hoch gezogen hätte, wenn es zwei deutsche Jugendliche gewesen wären, die den Rentner malträtiert haben".
Der hessische Justizminister Jürgen Banzer (CDU) hat im Kampf gegen Jugendkriminalität weitere Maßnahmen gefordert und will nun Jugendlichen die Handynutzung oder den Umgang mit Mitgliedern von Jugendcliquen verbieten. "Gerade bei den Jugendlichen werden Straftaten ja häufig in der Clique verübt, weil sie sich dann stärker fühlen oder einen Gruppenzwang verspüren", sagte Banzer der "Berliner Zeitung". "Wenn der Angeklagte ein Autofreak ist, dann trifft ihn ein Fahrverbot am härtesten."
Die Innenminister der unionsregierten Länder beraten derzeit in Wiesbaden unter anderem über das Thema Jugendkriminalität.
100 Ausländer- Organisationen beschweren sich,
Hamburger Abendblatt, erschienen am 11. Januar 2008
Der Ton beim Thema Jugendkriminalität wird immer schriller: Mehr als 100 Organisationen von in Deutschland lebenden Ausländern haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (beide CDU) "wahltaktischen Populismus" und sogar Rassismus vorgeworfen. In einem vom Migrantenforum im Paritätischen Gesamtverband veröffentlichten Brief an Merkel und Koch beklagen die Organisationen, dass die Debatte ein herber Rückschlag für den Integrationsdiskurs in der Gesellschaft sei.
"Populismus, keine Politik", Stephan Kramer
"Das Niveau des Wahlkampfes von Herrn Ministerpräsident Roland Koch unterscheidet sich kaum noch von dem der NPD", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer. Er warnte davor, Vorurteile gegenüber Ausländern zu schüren. Es gebe bereits "erste Anzeichen, dass vor allem die NPD und andere rechtsextreme Gruppen die Debatte nutzen". Kramer nannte es "unverantwortlich, wenn Politiker hier mit dem Feuer spielen". Notwendig sei nun "lauter Widerspruch aus der Gesellschaft. Das, was die CDU momentan mache, sei "Populismus, keine Politik".
Merkel und Koch sind "auf dem rechten Auge blind", Gerhard Schröder
Auch Gerhard Schröder, der sozialdemokratische Altbundeskanzler, übte zum wiederholten Mal scharfe Kritik an der CDU. Er warf seiner Nachfolgerin Angela Merkel und Roland Koch vor, einen einseitigen Wahlkampf zu betreiben. Die Diskussion um kriminelle Ausländer zeige, dass offenkundig beide "auf dem rechten Auge blind" seien, sagte Schröder. Wirklich überrascht habe ihn das aber nicht, sagt Schröder: "Das ist eine Wahlkampf-Hetze, für die Herr Koch bekannt ist." Dabei übersehe die Union mutwillig, dass Gewalt auch ein Problem deutscher Jugendlicher sei. "Junge deutsche Rechtsradikale verüben im Schnitt jeden Tag drei Gewalttaten – meist gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe." Dazu sei von Herrn Koch und Frau Merkel leider nichts zu hören.
"Billig", "schäbig" und "niederträchtig" , Fritz Kuhn
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn attackierte Koch ebenfalls: "Billig", "schäbig" und "niederträchtig" sei die Forderung nach einer Verschärfung des Strafrechts. Kuhn bedauerte, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Wahlkampf Kochs angeschlossen habe. Längere Gefängnisstrafen lehnen die Grünen ab. "Viele straffällige Jugendliche werden in den Gefängnissen erst richtig auf kriminelle Karrieren vorbereitet", sagte Kuhn.
"Gute Schulen sind die besten Erziehungscamps." Oskar Lafontaine
Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der Linken, Oskar Lafontaine. "Die Erfahrung lehrt, dass Jugendliche, die zu früh in den harten Knast geschickt werden, sich oft zu lebenslangen Gewalttätern entwickeln", sagte er. "Gute Schulen sind die besten Erziehungscamps." Deshalb sei Koch "gut beraten, seine vermurkste Schulpolitik zu überdenken", sagte Lafontaine.
Die Parteiführung der CDU wies die Kritik inzwischen in scharfer Form zurück. Der Vorwurf, der Wahlkampf von Roland Koch unterscheide sich kaum noch von dem der NPD, sei "an Absurdität gar nicht mehr zu überbieten", sagte Generalsekretär Ronald Pofalla. "Das Recht, das die CDU ändern würde, gilt für alle Jugendliche in Deutschland, ob sie Deutsche sind, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder ob sie Ausländer sind", sagte er. Auch CSU-Chef Erwin Huber sagte, der NPD-Vergleich sei abwegig.
Während die Aufregung also groß ist, Koch von allen Seiten attackiert wird, hat der Kritisierte selbst inzwischen die Tonart gewechselt. Vorübergehend jedenfalls. Am Dienstag zeigte der hessische Ministerpräsident sich plötzlich konziliant. Er forderte den SPD-Chef Beck auf, gemeinsam "rasch Konsequenzen zu ziehen". Außerdem räumte ein, dass härtere Strafen allein kein Patentrezept gegen jugendliche Intensivtäter seien. Koch sagte, ihm sei klar, dass die von der Union angestrebten Gesetzesverschärfungen nur ein Teil der Lösung seien. "Ich behaupte nicht, dass dann alles erledigt ist", sagte der Ministerpräsident.
ZEIT online, dpa, tso 02/2008
Roland Koch ist ein Sicherheitsversager
In neun Jahren Regierungszeit in Hessen hat Koch bei Polizei, Justiz, Bildung und Jugendhilfe massiv gekürzt", sagte Heil der Frankfurter Rundschau (04.01.08, Freitagsausgabe). Ergebnis dieser Politik sei in Hessen nahezu die Verdopplung gefährlicher Körperverletzungen in der Öffentlichkeit. Auch die Rückfallquote ist hoch: "80 Prozent der jugendlichen Straftäter in Hessen werden wieder straffällig", stellte Heil fest. Der hessische Ministerpräsident, bilanziert der SPD-Generalsekretär, sei ein "Sicherheitsversager". Nun versuche er "im Angesicht des drohenden Machtverlustes mit dem Ruf nach schärferen Gesetzen von seinem Versagen abzulenken".
Ypsilanti: Perspektivlosigkeit bekämpfen
Die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti warf Koch Populismus vor. Sie warb dafür, das Problem der Jugendkriminalität differenziert zu betrachten. "Der Zungenschlag, den Herr Koch in die Diskussion gebracht hat, ist schräg." Einfache Lösungsmöglichkeiten gebe es nicht. "Jugendliche Straftäter haben meistens eine abgebrochene Schullaufbahn, keine Ausbildung und keinen Arbeitsplatz." Hier müsse angesetzt werden.
Experten: Kochs Parolen "überflüssig" und "reiner Populismus"
Als "überflüssig" bezeichnete der Deutsche Richterbund die Debatte um ein härteres Jugendstrafrecht. Der Vorsitzende Christoph Frank sagte: "Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch." Auch der Deutsche Anwaltsverein (DAV) sprach mit Blick auf Kochs Parolen von "reinem Populismus".
Auch Schäuble gegen Koch-Vorschläge
Sogar Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält den Aktionismus seines Parteifreundes für überflüssig: Wichtig seien schnelle, direkte Konsequenzen für Straftaten und "nicht die Frage von Verschärfungen" im Strafrecht, sagte der Minister am Donnerstag. Zudem sieht Schäuble Gewalt durch Jugendliche nicht als spezielles Problem von ausländischen Tätern. Der Anstieg der Gewalttaten sei unter deutschen und ausländischen Jugendlichen "parallel". Dieser Entwicklung sei durch Erziehung zu begegnen. Wenn Familien dazu nicht in der Lage seien, müsse Unterstützung vor allem durch das Jugendhilferecht erfolgen, so Schäuble.