20.12.17: Energiewende auf „Eis“ gelegt

Die aktuelle Entwicklung bei der planungsrechtlichen Absicherung von Windenergieanlagen gibt zu erheblicher Sorge Anlass. Die SPD-Fraktion überlegt derzeit, dass hier zum Ruhen gebrachte Planungsverfahren wieder in Gang zu setzen.

Hintergrundinformationen

Die schwarz-gelbe Koalition in NRW hat in ihrem Koalitionsvertrag für die Wahlperiode 2017-2022 im Bereich der Windkraft einschneidende Maßnahmen angekündigt. Das Ziel scheint zu sein, den Windkraftausbau nach der Fertigstellung bereits genehmigter Anlagen weitgehend zum Erliegen zu bringen. Zwar betont die neue Landesregierung, sie halte an den Klimaschutzzielen der Vorgängerregierung fest und wolle auch die Energiewende vorantreiben. Konkret wird sie hier jedoch fast ausschließlich bei den einschneidenden Maßnahmen im Bereich Windkraft, während es z.B. bei der Photovoltaik oder im Bereich von Biogas keinerlei klar erkennbaren Maßnahmen oder Schritte gibt. Vielmehr sind die für die Bundesebene angekündigten Initiativen darauf ausgerichtet, die Energiewende weiter zu verlangsamen. Ob dies gelingen kann, ist nicht zuletzt aus rechtlicher Sicht sehr fraglich.

Konkret hat die Landesregierung im Koalitionsvertrag vor allem folgende Maßnahmen zur Begrenzung des Windenergieausbaus vorgesehen:

  • Rechtssichere Umsetzung eines Mindestabstandes für Windenergieanlagen von 1.500 Metern zu allgemeinen und reinen Wohngebieten
  • Abschaffung der Verpflichtung im Landesentwicklungsplan zur Ausweisung von Windenergievorrangzonen in den Regionalplänen
  • Abschaffung der „Privilegierung“ der Windenergie im Wald
  • Auf Bundesebene: Konsequenter Einsatz zur Abschaffung der Privilegierung der Windenergie im BauGB.

Der Windkraftausbau bedeutet in vielen Kommunen konkrete, aber auch komplexe und emotional geführte Diskussionen zu Fragen des Planungsrechts, der Bürgerbeteiligung, der lokalen Wertschöpfung und des kommunalen Steueraufkommens. Zur Orientierung in den Diskussionen möchten wir hier die aktuell wichtigsten Punkte zu den geplanten Maßnahmen übersichtlich zusammenfassen und bewerten.

Rechtssichere Umsetzung eines Mindestabstandes für Windenergieanlagen von 1.500 Metern zu allgemeinen und reinen Wohngebieten?

Die Genehmigung von Windenergieanlagen erfolgt derzeit auf Basis der jeweiligen kommunalen Flächenplanung, des Baugesetzbuches des Bundes sowie der einschlägigen umweltrechtlichen Vorgaben die sich aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz, der Technischen Anleitung Lärm und den naturschutzrechtliche Regeln ergeben. Der Abstand zwischen Windenergieanlagen und der nächstliegenden Wohnbebauung ergibt sich dabei grundsätzlich aus der TA Lärm sowie der Rechtsprechung zur so genannten „optisch bedrängenden Wirkung“.

Letztere besagt, dass im Regelfall bei einem Abstand der dreifachen Anlagengesamthöhe von keiner optisch bedrängenden Wirkung auszugehen ist. Damit ergibt sich bei Anlagen der heutigen Größe regelmäßig schon ein Abstand von ca. 600 m. Gerade bei mehreren Anlagen können sich aus den Anforderungen der TA Lärm noch um wenige hundert Meter größere Abstände ergeben.

Die Kommunen können in der Flächennutzungsplanung neben harten Tabuzonen, in denen eine Windenergienutzung schlechthin ausgeschlossen ist und die deshalb einer Abwägung nicht zugänglich sind, auch weiche Tabuzonen im Rahmen der Annahme von Vorsorgeabstände zu Grunde legen . Diese „weichen Tabuzonen“ müssen aber so abgestimmt sein, dass gemäß § 35 BauGB weiterhin substanzieller Raum für die Windenergie in der Gemeinde verbleibt.

Die neue Landesregierung hat sich allerdings nun zum Ziel gesetzt, einen extrem großen Mindestabstand von 1.500 m zwischen Windkraftanlagen und reinen bzw. allgemeinen Wohngebieten einzuführen. Ob ihr dies rechtssicher gelingt, ist mehr als fraglich.

Der aktuelle Entwurf zur Änderung des Windenergieerlasses vom 12.09.2017 nennt lediglich in einer Beispielsrechnung einen Abstand von 1.500 m nach der TA Lärm bei einem Windpark von 5 Anlagen der 3 Megawatt-Klasse. Dies ist KEINE rechtsverbindliche Festlegung, die durch die Kommunen bei der Flächennutzungsplanung oder durch die Genehmigungsbehörden einzuhalten ist. Eine solche ist in einem Erlass auch rechtlich gar nicht möglich. Es ist lediglich ein Beispiel für eine Situation, in der sich ein solches Abstandserfordernis aus immissionsschutzrechtlichen Gründen ergeben KANN. Da ein solcher Beispielfall tatsächlich nur selten auftreten wird und bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans regelmäßig auch noch gar nicht absehbar ist, wie viele Windenergieanlagen wo genau mit welcher Größe, Leistung und Schalleistungspegel errichtet werden, ist die Berechnung selbst
als Beispiel nicht belastbar und aussagekräftig. Eine kommunale Planung, die sich zur Begründung auf dieses Beispiel bezieht, ist gerade NICHT RECHTSSICHER!

Die Landesregierung könnte nun auf Landesebene allenfalls versuchen, über eine Änderung des Landesentwicklungsplans eine verbindliche Regelung zu Mindestabständen festzulegen. Allerdings würden bei einer verbindlichen Vorgabe von 1.500m zu allgemeinen und reinen Wohngebieten nach eigenen Angaben der Landesregierung rund 97 % der verfügbaren Flächenpotentiale in der entsprechenden Windpotentialanalyse des Landesumweltamtes NRW wegfallen und nur noch knapp 4.000ha als Potentialfläche in NRW verbleiben. Mit einer solchen Vorgabe wäre der LEP im höchsten Maße rechtlich angreifbar, da er im Land keine Möglichkeit lassen würde, nach § 35 Baugesetzbuch substanziell Raum für die Windenergie auszuweisen.

Abschaffung der Verpflichtung im Landesentwicklungsplan zur Ausweisung von Windenergievorrangzonen in den Regionalplänen

Im Ziel 10.2-2 des gültigen Landesentwicklungsplans (LEP) wird die Festlegung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung in den Regionalplänen vorgeschrieben. Mit dem Grundsatz 10.2-3 werden spezifische Mindestflächen für den Flächenumfang in den einzelnen Regionalplanungsgebieten dargelegt. Sie sind nicht strikt verbindlich, sondern sind lediglich von den Regionalplanungsträgern zu berücksichtigen und können begründet unterschritten werden.

Die schwarz-gelbe Koalition will die o.g. Vorschrift des LEP zur Festlegung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung auf Ebene der Landes- und Regionalplanung abschaffen. Dafür ist ein LEP-Änderungsverfahren nötig, dass umfassende Beteiligungsschritte und einen entsprechend langen Zeitraum in Anspruch nimmt. Zum Ende des Jahres 2017 hat die Koalition angekündigt, entsprechende Schritte einzuleiten. Grundsätzlich wäre denkbar, dass dabei das bisherige Ziel zur Ausweisung von Vorrangzonen auf Ebene der Regionalplanung in einen Grundsatz gewandelt wird oder gar gänzlich entfällt. Auch der Grundsatz zur Ausweisung bestimmter Mindestflächenkulissen in den einzelnen Regionalplanungsräumen könnte künftig entfallen. Diese Vorgaben waren aber grundsätzlich ein wichtiges Instrument, um in den jeweiligen Regionen eine Mindestausweisung von Flächen gemäß der vorhandenen Potentiale sicherzustellen.

Abschaffung der „Privilegierung“ der Windenergie im Wald

Windenergieanlagen dürfen im planungsrechtlichen Außenbereich wie z.B. auf landwirtschaftlich genutzten Flächen oder im Wald unter hohen Auflagen errichtet werden. Grundlage hierfür ist – neben der baurechtlichen Privilegierung im Außenbereich – die planerische Vorgabe des LEP (Ziffer 7.3), nach der die Errichtung von Windenergieanlagen im Wald möglich ist, sofern die wesentlichen Funktionen des Waldes nicht beeinträchtigt werden. Damit sollte der Bau von Windrädern auf weniger ökologisch bedeutsamen Waldflächen (z.B. Fichtenmonokulturen) oder auf Schadensflächen (Kyrill-Flächen) möglich gemacht werden. Die Koalition aus CDU und FDP möchte diese Möglichkeit für Windenergieanlagen nun wieder streichen. Eine Änderung des LEP, wonach die Windenergie wieder nur dann infrage kommt, wenn das entsprechende Bauvorhaben nicht auf einer Offenlandfläche realisiert werden kann, würde die Nutzung der Windenergie weiter einschränken. Die Gemeinden müssten dann künftig bei Flächennutzungsplänen mit Waldnutzung wieder nachweisen, dass Gebiete für die Windenergienutzung außerhalb des Waldes nicht mit vertretbarem Aufwand realisierbar sind. Damit würden die Gestaltungsspielräume der Kommunen gesenkt und nicht gestärkt. Das gilt besonders für waldreiche Kommunen. Die Kombination von größeren Abständen zur Wohnbebauung und gleichzeitiger, weitgehender Waldtabuisierung führt nahezu zwangsläufig zu unlösbaren Konflikten.

Auf Bundesebene: Konsequenter Einsatz zur Abschaffung der Privilegierung der Windenergie im BauGB

Im Koalitionsvertrag strebt die Landesregierung die Abschaffung der baurechtlichen Privilegierung von Windkraftanlagen im Außenbereich an. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die Errichtung von Anlagen z.B. auf landwirtschaftlichen Flächen so gut wie ausgeschlossen würde. Da es sich hierbei um Bundesrecht handelt, kann es sich jedoch nur um eine bloße Interessenserklärung handeln. Aufgrund der aktuellen politischen Situation auf Bundesebene und einer dort nicht erkennbaren Mehrheit von schwarz-gelb in Bundestag und Bundesrat, ist es unwahrscheinlich, dass diese Idee umgesetzt wird. Ähnlich verhält es sich mit dem im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben, die EEG-Förderungen sowie den sog. Einspeisevorrang abzuschaffen. Die Zielsetzungen zeigen jedoch, mit welcher rückwärts gerichteten Stoßrichtung die Landesregierung Energiepolitik betreiben will.

Fazit:

Die Landesregierung kann die angekündigten Einschränkungen für die Windkraft – wenn überhaupt – nur über ein LEP-Änderungsverfahren verbindlich festlegen. Allerdings stößt sie hier bundesrechtlich auf hohe Hürden (Verbot der Verhinderungsplanung / Gebot der substantiellen Raumschaffung für die Windenergie). Dabei ist angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse auf Bundesebene völlig offen, was von den angekündigten Zielen wirklich umsetzbar ist.

Fakt ist, dass die rechtliche Unsicherheit auf kommunaler Ebene derzeit dazu führt, dass viele Windenergieprojekte nicht weiterverfolgt werden und viele kommunale Planungsentscheidungen – genauso wie Regionalplanungen (siehe BezReg Arnsberg) – auf Eis liegen. Dies ist angesichts der rechtlich stark eingeschränkten Möglichkeiten (auch nach einem abgeschlossenen LEP-Änderungsverfahren gäbe es das Gebot des Vertrauensschutzes für bestehende Planwerke) unbegründet.

Es empfiehlt sich daher, begonnene Projektplanungen und kommunale Planungsverfahren nun mit Nachdruck weiter zu verfolgen, auch wenn hier – wie in allen solchen Fragen- natürlich ein gewisses sowohl politisches als auch betriebswirtschaftliches Risiko verbleibt. Gerade vor dem Hintergrund des auch zukünftig geltenden Gebots, der Windenergie substantiell Raum zu verschaffen, wäre eine Verhinderungsplanung unter Verweis auf einen geänderten Windenergie-Erlass bzw. LEP risikoreich. Im Gegensatz zu den von der Landesregierung verkündetem größeren Spielräumen für die Kommunen, werden durch die reine Beispielsrechnung von 1.500m im Windenergie-Erlass-Entwurf falsche Erwartungen aufseiten der Bevölkerung geschürt, die zu größeren Konflikten auf kommunaler Ebene führen kann.